Karsamstag ist für mich immer ein eigenartiger Tag. Sozusagen nicht Fisch und nicht Fleisch. Nicht mehr die tiefe Trauer und bleierne Schwere des Karfreitags, aber auch noch nicht die ausgelassene Fröhlichkeit, das Erlöstsein der Ostertage.
Das wird noch deutlicher, wenn ich mir vor Augen halte, dass der allererste Karsamstag noch ein richtig trauriger Tag für die Verwandten und Anhängerinnen und Anhänger Jesu gewesen sein muss.
Die übliche Schockstarre nach einem Todesfall, das Funktionieren-Müssen, das Weiterleben-Müssen nach einem solchen Verlust. Noch nichts, was da tröstlich erscheinen konnte, erst recht nicht angesichts der Grausamkeit der Todesart und des plötzlichen Hereinbrechens dieses Ereignisses. Denn auch wenn die Evangelien mehrfache Leidensankündigungen Jesu aus seinem eigenen Munde berichten, werden sich viele Jüngerinnen und Jünger der Hoffnung hingegeben haben, dass es anders kommen werde.
Und nun war es doch so gekommen. Eigentlich das Scheitern nicht nur des Menschen Jesus, sondern seiner ganzen Botschaft. Der GAU für alle, die an ihn als eine Person, die mit besonderen göttlichen Kräften ausgestattet war, geglaubt hatten. Er hatte sich nicht geholfen (nicht helfen können?) und war nicht vom Kreuz herabgestiegen (weil etwa seine Kraft nicht dazu reichte?). Fragen über Fragen, Zweifel über Zweifel.
Ganz anders wir heutzutage. Wir lesen das ganze Geschehen von Karfreitag immer schon von seinem Ende her, von Auferstehung und Himmelfahrt, ja sogar Pfingsten her.
Und darum ist Karsamstag für uns ein eigenartiger Tag in der Schwebe. Aber damit ist er im Grunde genommen gar nicht so untypisch. Im Gegenteil, eigentlich ist er ein tolles Sinnbild für das Ganze christlicher Existenz unter den Bedingungen dieser Welt: Ein Zwischenzustand, in dem wir uns als Erlöste und zum Reich Gottes Berufene betrachten dürfen, aber noch den Bedingungen dieser Welt voll und ganz unterworfen sind. Ein Zustand oft zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Liebe und Hass, zwischen Glauben und Zweifel.
Das ist genau der Zustand, den Paulus in Röm 6,5 beschreibt: "Denn wenn wir mit ihm [Christus] verbunden und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein." Wir leben weiterhin in einer Welt, in der das Leben ‒ das gute Leben ‒ immer wieder bedroht ist von lebensfeindlichen Mächten, in einer Welt, in der der gute Wille oft noch weit entfernt ist vom guten Vollbringen, einer Welt, die uns nur allzu oft als unvollkommene und hoffnungslos dem Scheitern entgegentreibende begegnet.
Diese Spannung zwischen Karfreitag und Ostern, zwischen dem Schon-Geschehenen und dem Noch-Ausstehenden ist charakteristisch für unser ganzes christliches Dasein. Von Gott her ist schon alles Not-Wendige getan, eine Dynamik in Kraft gesetzt, die unaufhaltsam zum Guten führen sollte. Unsere Aufgabe als Christen ist es, dieser Dynamik zur Durchsetzung zu verhelfen. Gott braucht dazu unsere Hände. Und weil wir spätestens durch Ostern und Karfreitag wissen, dass wir durch falsches Handeln in guter Absicht nicht unser Seelenheil verspielen können, können wir ganz befreit aufatmen und uns auf den Weg machen, diese Welt lebensfreundlich mitzugestalten und Gottes Liebe in dieser Welt und unter innerweltlichen Bedingungen Raum zu verschaffen.